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Polynesisches Segeln – Wie wir mit dem Ungewissen umgehen können

Aktualisiert: 2. Feb.

TL;DR


Polynesisch Segeln:

  • Veranschaulicht, wie man mit Ungewissheit und Veränderung umgehen kann.

  • Dient als Strategie zur Bewältigung von wirtschaftlichen und persönlichen Herausforderungen in Zeiten großer Umbrüche und Unsicherheiten.


Umgang mit Ungewissheit:

  • Lernen und Anpassungsfähigkeit sind Schlüsselkompetenzen.

  • Das Nutzen des Ungewissen kann zu kreativeren Ideen und neuen Wegen führen.


Handlungsfähigkeit in unsicheren Zeiten:

  • Polynesisches Segeln symbolisiert die Schaffung von Handlungsspielräumen und die Bewältigung von Krisen.

  • Zielvorstellungen definieren, ohne sich vom Ergebnis abhängig zu machen, ist entscheidend.


Bedeutung von Bewegung:

  • Die Funktion des Ziels ist nicht, es zu erreichen, sondern in Bewegung zu kommen.

  • Bewegung und Handeln haben Vorrang vor dem Erreichen spezifischer Ziele.


Reaktivierung alter, inhärenter Strategien:

  • In einer Welt voller Disruptionen ist es wichtig, alte Strategien im Umgang mit Neuem und Ungewissen zu reaktivieren.

  • Die Auseinandersetzung mit dem Ungewissen und der Ungewissheit ist unerlässlich in Zeiten der Krise.


Globale Herausforderungen und Krisenbewältigung:

  • Der Artikel thematisiert die aktuellen globalen, politischen, technischen, gesellschaftlichen und ökologischen Herausforderungen und betont die Notwendigkeit der Krisenbewältigung und der Entwicklung von Resilienz.


Innovationsstrategien und Transformationsprozesse:


  • Dieser Artikel ist von dem Innovationsstrategen Simon Steiner geschrieben und zusammengefasst und im unteren Teil u.a. durch Gedanken, Beispiele, Ausführungen und Übungen von Gunther Schmidt, Günther Höhfeldt, Caprice Oona Weissenrieder und Stephan Druckrey inspiriert und angereichert.




Polynesisch Segeln – Was ist das?


Polynesch Segeln – Navigieren in Ungewissheit. Polynesisches Segelboot

Wer schon einmal segeln war, weiß das: Trotz sorgsamster Planung, seglerischer Ausbildung und Erfahrung und Kompetenz das Schiff technisch zu bedienen, trotz modernster Instrumente für Navigation und Betrieb, treten permanent Situation auf, die nicht vorhersehbar waren. Mit diesen Situationen muss im Falle des Eintretens konstruktiv umgegangen werden. Diese Ereignisse lassen sich kaum voraussagen, schwer mit einkalkulieren, geschweige denn verhindern oder managen.


Wer sich öfter in den Sturm begibt, lernt intuitiv Strategien im Umgang mit solchen Situationen und ist somit auch besser gewappnet, dem Ungewissen im Privaten und Beruflichen zu begegnen.

Aber diese Strategien sind auch erlernbar, ohne aufs offene Meer hinaus zu fahren und Ungewissheit aktiv zu suchen.


 
Navigieren in Ungewissheit, was wir jetzt wissen müssen um fit für die Zukunft zu werden. Ein Impulsvortrag von Simon Steiner

Simon ist Innovationsstratege, Unternehmensberater, Keynote-Speaker und Segler!


Er hält Vorträge zum Thema "Navigieren in Ungewissheit" und begleitet Unternehmen in Innovations- und Transformationsprozessen mit Ansätzen wie Design Thinking, Effectuation oder Sustainable Business Design: www.simonsteiner.de

 

Wir befinden uns derzeit in einer Welt größter Ungewissheit. Globale, politische, technische, gesellschaftliche und vor allem ökologische Disruptionen fordern uns in einem nie dagewesenen Maße heraus. Wir wissen, dass wir nicht imstande sind, unseren gewohnten, stabilen Zustand zu erhalten. Wer ein "weiter so" predigt entlarvt sich schnell als weltfremd und naiv.


Gleichzeitig können wir nicht erkennen, wohin wir treiben und wo wir Stabilität vorfinden können. Wir sind orientierungslos und stochern im Nebel. Das führt zu Ängsten und wir neigen dazu, einfache Antworten zu suchen, die aber unser Problem nicht lösen können.


In den letzten Dekaden konnten wir es uns bequem machen. Das Leben lief einigermaßen reibungslos, Dinge schienen planbar, oder managebar. Aber wenn man zulange den Kurs nicht verändert, rostet das Ruder ein, wird von Seepocken bewachsen. Das geschieht schleichend und man verlernt, mit sich verändernden Rahmenbedingungen umzugehen. Die Manövrierfähigkeit geht verloren.

Eine Reaktion, die wir sehr häufig beobachten, wenn Dinge sich verändern ist: man sucht oder erschafft sich Sündenböcke. Der Wunsch, dass der Kurs sich nicht verändert, ist nachvollziehbar. Die Frustration darüber, wenn er angepasst werden muss, aber das Ruder klemmt, groß.


Man fühlt sich machtlos und reagiert nach dem Motto: "Wenn das Ruder klemmt, dann geben wir eben dem Wind die Schuld!"


Mit Ungewissheit mussten Menschen seit Jahrtausenden umgehen


Das Gute ist aber: mit Ungewissheit mussten Menschen seit Jahrtausenden umgehen. Und so sind intuitive Strategien entstanden, mit denen wir unter Ungewissheit handlungsfähig bleiben können. Dies sind die Grundlagen des unternehmerischen Denken und Handels.


In den Zeiten der Stabilität, in denen wir uns diese intuitiven Strategien abtrainiert haben, weil nicht wichtig waren, nahm das Verwalten der Stabilität überhand. Monokausales Denken, Excel-Tabellarismus, unterkomplexe BWL-Logiken halfen uns, den stabilen Zustand bestmöglich für uns zu nutzen und in "Wohlstand" zu verwandeln. Durch diesen Wohlstand und der Negierung, die Komplexität der Welt in unsere Entscheidungen einfließen zu lassen, haben wir aber den stabilen Zustand bröckeln lassen und die Ökosysteme in denen wir leben so zerstört, dass Stabilität nicht mehr möglich ist.


Es ist nun Zeit, diese alten Strategien im Umgang mit dem Neuen, dem Ungewissen zu reaktivieren.

Das Polynesische Segeln ist eine dieser Strategien. Diese faszinierende und zugleich geheimnisvolle Praxis, zieht die Neugier von Abenteurern und Wissbegierigen gleichermaßen an. Hier führen wir euch in die Praxis ein.


Aufmerksamkeit


In einer Krise hat man immer eine Wahl, wohin die Aufmerksamkeit gelenkt wird und kann sich somit zu neuem Erleben einladen. Wer seine Aufmerksamkeit nur auf dem Alten liegen hat, wird überrascht sein, wenn das Neue das Alte ersetzt.


Menschliches Erleben basiert auf der Fokussierung der Aufmerksamkeit. Das bedeutet: abhängig davon, worauf die Aufmerksamkeit gerade gerichtet ist, wird unweigerlich das damit verbundene Erlebnisnetzwerk aktiviert. Es wird zum gegenwärtig dominierenden Erleben und als "Ich" wahrgenommen. Zwar erschafft man sein Leben nicht selbst, aber im Wesentlichen das eigene Erleben.


In der Zwischenwelt


"Die alte Welt liegt im Sterben, die neue ist noch nicht geboren: Es ist die Zeit der Monster"

Das sagte Antonio Gramsci, ein italienischer Schriftsteller und Philosoph im Jahre 1937. Eine Krise besteht darin, dass das Alte stirbt und das Neue noch nicht geboren werden kann.


Krisenerleben bedeutet, sich ausgeliefert, hoffnungslos und ohne Wahlmöglichkeiten zu fühlen. Man hat das Gefühl, gefangen zu sein und aus diesem Zustand herauskommen zu müssen. Genau das ist jedoch oft nicht möglich, und man muss sich mit dieser Realität abfinden.


Derzeit befinden wir uns wieder in einer Art Zwischenwelt. In einer Welt zwischen zwei stabilen Systemzuständen. Der alte stabile Zustand bricht derzeit zusammen. Noch einmal bäumt sich das fossile Zeitalter bedrohlich auf, zeigt uns, wie abhängig wir sind und wie unfähig, uns aus den Abhängigkeiten zu befreien, die zwangsläufig unsere Lebensgrundlage bedrohen und zerstören. Wir kleben an einem fossilen Wohlstand, den wir nicht verlassen wollen, weil wir nicht sehen können, an welches Ufer wir uns retten können, während wir sehen, wie das Schiff, auf dem wir sitzen sinkt. Diesen Zwischenstand nutzt der Populismus und die Dämagogie. Hohle Versprechen von ganz rechts, aber auch aus der Mitte versuchen uns vorzugaukeln, dass alles gut wird und wir nur den Märkten vertrauen müssen. Aber die meisten wissen, dass das nicht stimmt. Was aber stimmt, weiß auch niemand genau. Das ist Krise.


Krise und Krisenerleben


In solchen Krisensituationen fühlt man sich oft hilflos, hoffnungslos und ohne jegliche Handlungsoptionen. Man empfindet sich als gefangen und möchte aus diesem Zustand entkommen, doch oft ist dies nicht möglich und man muss sich der Situation stellen.

In Krisenzeiten herrschen oftmals unsichere Bedingungen, und man weiß nicht, was die Zukunft bringen wird. Sich in solchen Momenten strikte Ziele zu setzen, kann von vornherein zum Scheitern verurteilt sein. Daher ist es ratsam, den Fokus von den Zielen wegzulenken. Das bedeutet nicht, ziellos zu sein, sondern den Blick auf das zu richten, was gestaltet werden kann. Und das Gestalten findet im Hier und Jetzt statt, nicht in der Zukunft. Genau darin liegt die Kunst des Polynesischen Segelns.


Polynesisches Segeln - Kurs finden bei ungewissem Ausgang


Polynesisches Segeln symbolisiert die Fähigkeit, in unsicheren Zeiten Handlungsspielräume zu schaffen und Krisen bestmöglich zu bewältigen. Es geht darum, Zielvorstellungen zu definieren, sich nicht vom Ergebnis abhängig zu machen und trotzdem entschlossen loszusegeln.


Der Segler, Autor und Gelehrte Lewis beschreibt n seinem Klassiker "We, The Navigators", wie die Polynesier die Inseln auf einem riesigen Ozean erreicht haben. Ohne GPS und ohne Gewissheit, ob es dort überhaupt Land gibt. Dennoch segelten sie weiter, immer auf der Suche nach neuen Horizonten.

Sie taten dies in der Haltung, das Ziel nicht unbedingt erreichen zu müssen. Denn die Funktion des Ziels ist nicht, es zu erreichen, sondern in Bewegung zu kommen.


Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal wie es ausgeht. – Vaclav Havel

Wie der tschechische Schriftsteller und Politiker Vaclav Havel zum Ausdruck brachte, geht es beim Prinzip Hoffnung nicht um die Gewissheit, dass das, was man will, eintritt, sondern um die innere Sicherheit, dass das, was man tut, Sinn hat. In Krisen ist es wichtig, eine ergebnisunabhängige Strategie zu verfolgen, auch wenn man sich nach dem Ergebnis sehnt. In solchen Situationen muss man unter anhaltenden, nicht auflösbaren Unsicherheitsbedingungen Entscheidungen treffen. Wenn das Ergebnis die einzige Quelle der Sicherheit ist, wird man schnell zum Opfer der Umstände. Das Ergebnis kann man nicht garantieren, aber man kann wie die Polynesier segeln und herausfinden, wie man auf dem Weg optimal navigiert.


Prinzipien des Polynesischen Segelns


Das Hauptprinzip im Polynesischen Segeln besteht darin, sich auf die eigenen Ressourcen und Gestaltungsmöglichkeiten zu besinnen und den eigenen Handlungsspielraum zu erweitern. Dabei orientiert man sich an den persönlichen Ressourcen, die die verfügbaren Fähigkeiten und Fertigkeiten bestimmen, um veränderliche Ziele ins Auge zu fassen – und nicht umgekehrt. Dazu gehören, wer man ist, was man weiß, wen man kennt und was man tut.


Wer bin ich?

Wie kann ich herausfinden, wer ich bin? Was ist meine Haltung, meine Werte. Was macht mich aus? Wohin zieht es mich und was stößt mich ab und warum?


Oder in einer persönlichen Krisensituation:

Wie kann ich mich selbst unterstützen, aufbauen, aktivieren und mit der anhaltenden Unsicherheit auf diesem mutigen Weg durch die Krise umgehen? Was ist mir wichtig? Wofür möchte ich da sein? Und wer möchte ich gewesen sein?


Was weiß bzw. kann ich?

Was habe ich ich gelernt? Welche Erfahrungen habe ich gemacht? Wo liegen meine Kompetenzen? Mein erworbenes Wissen, aber auch meine inhärenten Persönlichkeitseigenschaften (z.B. strukturiertes Arbeiten, Kreativität, oder Führungskompetenz)?


Oder in einer persönlichen Krisensituation:

Welche Krisen habe ich in meinem Leben bereits bewältigt? Wie kann ich mich in diese Situationen hineinversetzen? Wie kann ich die Zeit nachempfinden, in der ich die Krise gerade bewältigt habe? Wie kann ich wieder Zugang zu diesen Handlungsstrategien bekommen?


Wen kenne ich?

Welche Netzwerke habe ich? Mit wem kann ich mich verbünden? Welchen Verlust kann ich gerade noch akzeptieren?


Was kann ich dann tun?

Wie gestalte ich meine Interaktionen mit anderen Menschen? Welche Vereinbarungen treffe ich?


In Krisenzeiten benötigt man Handlungsoptionen.


Dabei sind alle Kompetenzen zur Krisenbewältigung bereits vorhanden – sie sind in uns. In jedem von uns existiert ein unbestechliches intuitives, weil über Jahrtausende angeeignetes Wissen und ein riesiges Repertoire an Kraftreserven, die angezapft werden können. Hierfür müssen wir uns aber hin und wieder mal vergegenwertigen, dass wir erworbenes Wissen auch wie verlernen müssen, gemäß der Logik: Learn, unlearn, relearn!

Also lernen, verlernen, neu lernen.


Insbesondere wenn wir in monokausalen Logiken geschult sind, (z.B. in BWL, Jura, oder Projektmanagement), haben wir bestimmte inhärente Fähigkeiten überschrieben. Wir halten dann Ressourcen-orientierte Strategien für falsch. Aber diese sind wichtig in Zeiten, in denen keine Pläne funktionieren. Also in Umbruchphasen. Hier müssen wir das akquirierte Wissen zur Seite schieben, um anderen Strategien Platz zu machen. Das intuitive wirkt sonst konterintuitiv und wird von unserer Einstellung abgelehnt. Gelingt uns das, finden wir Fähigkeiten, die Kraft und Hilfe geben können, die Krise zu bewältigen. Doch während des Krisenerlebens sind sie oft unzugänglich. Entscheidend ist, eine Erlebnisposition aufzubauen, aus der heraus man Phänomene anders betrachten kann. Dies bedeutet, eine Position mit Abstand, Überblick und sicherem Schutz einzunehmen.


Übungen von Günther Höhfeldt


Günther Höhfeldt ist Psychologe, Berater, Theologe und Krisenprofi.

Er setzt das Polynesische Segeln also nicht wie wir primär im organisationalen Kontext ein, um das Schiff Organisation manövrierfähig zu halten, sondern stark im individuellen Kontext.

Die folgenden Übungen von Höhfeldt sollen einladen, die Prinzipien des Polynesischen Segelns im Alltag umzusetzen. Mehr von Günther Höhfeldt gibt es auf seiner Internetseite: https://guenther-hoehfeld.com/


Übung 1: Beobachterhaltung aufbauen


In Krisen ist eine sichere Beobachterposition notwendig, um steuern zu können.


Eine Möglichkeit bietet das sogenannte Dissoziationsmodell.


Fragen Sie sich: "Wie finde ich mich jetzt in der Krise? Wie geht es mir?" Selbstabwertungen intensivieren das Krisenerleben und machen hilflos, schutzlos oder sogar ohnmächtig, während sie gleichzeitig Energie rauben und Handlungsmöglichkeiten einschränken. Eine Beobachterposition erweitert Ihren Blick, schafft Wahlmöglichkeiten und ermöglicht Zugang zu Ihren Potenzialen.


Eine zweite Möglichkeit, eine Beobachterperspektive aufzubauen, ist das sogenannte Seitenmodell.


Menschen haben vielschichtige Aspekte in sich, und diese Vielschichtigkeit kann hier genutzt werden. Stellen Sie sich vor, dass der krisenhafte Zustand, den Sie erleben, nicht Ihre gesamte Persönlichkeit betrifft. Nur ein Teil von Ihnen steckt in der Krise. Dieser Teil benötigt Ihre volle Unterstützung, Verständnis und liebevolle, wertschätzende Zuwendung. Durch diese Beobachterposition bringen Sie Ihr Krisenerleben auf Abstand, was Erleichterung verschaffen kann.


Übung 2: Einen inneren Erlebnisraum kreieren


Angenommen, Sie befinden sich in einer Krise und stehen massiv unter Druck. Ihr innerer Erlebnisraum hat sich verengt, was sich auch auf Ihren Körper auswirkt: flache Atmung, Starrheit oder Unruhe. Um in dieser Situation Ihre Krise anzugehen, sollten Sie versuchen, Ihre Körperkoordination zu verändern.


Stellen Sie sich nun vor, Sie könnten eine Haltung einnehmen, in der Sie sich geschützt, sicher und kraftvoll fühlen, mit starkem Rückhalt und einem Überblick. Vielleicht haben Sie ein solches Erlebnis bereits in Ihrem Leben gehabt - am Strand, im Meer oder auf einem Hügel, wo Sie Weite oder Raum verspürt haben. Machen Sie nun eine Handbewegung nach vorne, um alles ein wenig auf Abstand zu schieben und einen besseren Überblick zu gewinnen. Atmen Sie dabei tief ein und denken Sie: "Diese Bewegung könnte mir Kraft geben!" Verbinden Sie Ihre Ausatmung mit einem kräftigen "Ja!" oder "Ho!"


Nehmen wir an, Sie könnten sich jetzt Ihr persönliches Bild von diesem geschützten, sicheren Ort schaffen, an dem Sie Überblick haben und handeln können.

Stellen Sie sich vor: Wie würden Ihre Füße auf dem Boden stehen, um Ihnen stabilen Halt, Sicherheit und Überblick zu geben? Stellen Sie sich weiterhin vor, dass es in diesem Raum etwas gibt, das Ihnen Kraft schenkt und Ihren Rücken stärkt, zum Beispiel Erinnerungen an überstandene Krisen. Vielleicht dachten Sie damals: "Das schaffe ich nie." Aber heute haben Sie es längst bewältigt. Das wäre ohne ein riesiges Repertoire an Kompetenzen in Ihnen nicht möglich gewesen. Selbst wenn Sie sich nicht mehr erinnern können: Dieses intuitive Wissen hat Ihnen Kraft gegeben, Sie unterstützt und steht Ihnen immer zur Verfügung.


Nun stellen Sie sich in Ihrem imaginären Erlebnisraum vor, dass dieses intuitive Wissen Ihren ganzen Organismus stützt und dass diese Kräfte da sind und Ihnen sagen: "Wir lassen Dich nicht allein! Wir sind da für Dich! Gemeinsam packen wir es an!"


Übung 3: Entscheidungen treffen


Wenn Sie in einer Krise sind, neigen Sie vielleicht dazu, nach vollständiger Sicherheit zu streben und die "perfekte" Entscheidung treffen zu wollen. Dabei geraten Sie in eine selbstgemachte Zwickmühle, denn es ist unmöglich, eine Entscheidung zu treffen, bei der Sie sicher wissen, was dabei herauskommt.


Eine Entscheidung bedeutet oft, dass Sie sich von Optionen trennen müssen. Das Zurückbleibende hatte auch gute Argumente, deshalb sollten Sie es nicht abwerten. Es ist wichtig, das "Ja, aber..." zu würdigen, das die zurückbleibende Option repräsentiert.

Stellen Sie sich vor, Sie hätten ein Ich für die Gegenwart und eines für die Zukunft. Ihr Gegenwarts-Ich trifft unter unsicheren Bedingungen eine Entscheidung für die Zukunft, ohne genau zu wissen, was dabei herauskommen wird. Ihr Zukunfts-Ich sollte jedoch Verständnis für die Entscheidung haben und dem Gegenwarts-Ich mit Achtung, Liebe, Loyalität und wertschätzender Freundschaft begegnen. Sagen Sie: "Danke für deinen Mut, unter diesen Unsicherheiten etwas getan zu haben. Es wäre toll gewesen, wenn das Gewünschte herausgekommen wäre. Aber wir sind jetzt ein freundliches, loyales und zuverlässiges Team im Umgang damit, dass nicht das Gewünschte herausgekommen ist. Wir werden das Bestmögliche daraus machen!"


Gehen Sie so mit Ihren Ambivalenzen und Unsicherheiten um, und nutzen Sie diese Herangehensweise, um gestärkt aus Ihren Krisen hervorzugehen. Frei nach der Devise: "Aus Krisen wird man klug, drum ist eine nicht genug." In diesem Sinne: Viel Freude und Inspiration beim Polynesischen Segeln!


Polynesisches Segeln und gute Führung in Krisenzeiten


Polynesisches Segeln ist, wie bereits erwähnt, eine Metapher, die vom Systemtheoretiker Gunter Schmidt geprägt wurde und die Fähigkeit beschreibt, in unsicheren und stürmischen Zeiten den Kurs zu setzen und Handlungsoptionen so zu gestalten, dass trotz einer Krise bestmöglich navigiert werden kann. Die Polynesier konnten ohne Karten, GPS oder ein festes Ziel navigieren und machten sich einfach auf den Weg, ohne genau zu wissen, wo sie am Ende ankommen würden.


Gute Führung in Krisenzeiten hat Ähnlichkeiten mit dem Polynesischen Segeln. Moderne Führungsmodelle und -theorien zeigen eine Veränderung in der Rolle der Führungskraft, weg von einem hierarchischen Entscheidermodell hin zu einer partizipativen Beziehung und der Führungskraft in der Rolle eines Coachs.

In unsicheren Zeiten suchen Menschen nach Halt und Orientierung. Führungskräfte sollten daher als Vorbild fungieren, Zuversicht und Orientierung geben, Mitarbeiter*innen mitnehmen und eine gestaltbare Vision von der Zukunft vermitteln. Dies ist besonders wichtig in Krisenzeiten.


Das Hauptprinzip des Polynesischen Segelns besteht darin, sich auf die Ressourcen und Gestaltungsbereiche zu besinnen


Führungskräfte, die die Fähigkeit zum "Polynesischen Segeln" besitzen, entwickeln gemeinsame Orientierungen und passen diese flexibel an, wenn sie "auf offener See" sind. Das Hauptprinzip des Polynesischen Segelns besteht darin, sich auf die Ressourcen und Gestaltungsbereiche zu besinnen. Eine in Krisen erfolgreiche navigierende Führungskraft fungiert dabei als Coach und betrachtet die verfügbaren Fähigkeiten und Kompetenzen ihrer Mitarbeiter*innen und inwiefern der vorhandene Möglichkeitsraum erweitert werden kann.


Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Polynesische Segeln als Metapher für gute Führung in Krisenzeiten dient, da es die Fähigkeit widerspiegelt, auf Kurs zu bleiben und sich an verändernde Bedingungen anzupassen, während man Mitarbeiter*innen unterstützt und mitnimmt, um gemeinsam eine gestaltbare Vision der Zukunft zu erreichen.


Beispiel: Polynesisches Segeln in einem Praxisseminar


In Organisationen sind Teams herausgefordert, sich und ihre Rolle sowie ihre Art des gemeinsamen Wirkens neu zu beschreiben. Bei einer Klausurtagung wurde Folgendes versucht:


Die Teilnehmenden wurden angeregt, auf positive Erfahrungen in der Vergangenheit zu blicken und Faktoren zu finden, die möglicherweise die Wahrscheinlichkeit von Gelingen erhöhen. Gelingen bezeichnet hier ein inneres Erleben in der Vergangenheit, zu einer Zeit als ein Projekt, eine Aktivität oder ein Handeln als erfolgreich, positiv und gelingend erlebt wurde.


Die Frage war, wie es dazu kam und was dazu beigetragen hat, dass es so werden konnte.


In Anlehnung an den Ansatz "Appreciative Inquiry" (Wertschätzende Erkundung) wurden die Teilnehmenden in Paaren in eine Interviewsituation geschickt, um sich besser kennenzulernen und gleichzeitig den Fokus auf die Möglichkeit des Gelingens zu setzen.


Im zweiten Schritt ging es darum, die gefundenen Faktoren des Gelingens im Blick auf die Zukunft nicht aus dem Auge zu verlieren und zu nutzen. Ausgehend von dem bekannten Bild "Ein Schiff, das sich Gemeinschaft nennt", wurde die Idee des Polynesischen Segelns eingeführt.


Nach einer kurzen Einführung in das Konzept und den Hintergrund des Effectuation-Ansatzes war es Zeit aufzubrechen. Aber nicht ohne eine gute Basis. Die Teilnehmenden wurden angeregt, zu sammeln, was für eine gute Ausgangsbasis wichtig wäre.


Welche Sicherheiten brauchen sie?

Was ist für ihr Miteinander wichtig?

Aus welcher Motivation heraus brechen sie auf?

Was ist ihr Antrieb?


Aus diesen Faktoren wurde gemeinsam ein "Steg" gebaut, von dem aus die kleinen Boote aufbrechen können.


In der nächsten Phase waren kleine Gruppen aufgefordert, ins Gespräch zu kommen, welche Ideen in den Köpfen sind, welche Richtungen ausprobiert werden können und wohin die Lust einen treibt. Die angeregten Gespräche wurden zweimal unterbrochen:


Einmal mit dem Hinweis, die Formulierung "Ja! Und…" statt "Ja, aber" zu verwenden.

Das zweite Mal mit der Aufforderung, konkreter zu werden: Was genau? Wer? Wie?


Eine entscheidende Irritation folgte zum Abschluss des Polynesischen Segelns: Statt alle Kleingruppen im Plenum von ihren Segeltörns berichten zu lassen, wurden nur die Fragen gestellt:


  • Welche Veränderung könnte für die Zukunft hilfreich sein?

  • Bei den Teilnehmenden selbst?

  • In der Zusammenarbeit im Gremium?


Der Hintergedanke war, dass die Kraft, die durch das Neue gespendet wird, in guter Balance ist mit der Belastung auf der Ressourcenseite. So können die Teilnehmenden nach dieser Ausnahmesituation ihre Arbeit reflektieren und so anpassen, dass diese Ideen effectuierend angegangen werden können.


Beispiel: Polynesisches Segeln in Coaching und Psychologie


Zwei verschiedenen Sichtweisen begegnen einem zuweilen. Die eine besagt, dass Menschen sich in ihrem Denken und Erleben vorhersagen lassen. Viele Strategiekonzepte und kognitiv ausgerichtete Therapieverfahren bauen auf dieser Annahme auf. Man kennt es, den Augenblick, wo man erkannt hat, wie Menschen „ticken“ und man mit einer Planung genau das beim Anderen erreicht hat, was man sich vorgenommen hat.


Die andere Sichtweise besagt, dass Menschen keine trivialen Maschinen sind, sondern Wesen, deren Erleben und Verhalten nicht-linearen, dynamischen Strukturen unterliegen und deswegen nicht vorhersagbar sind. Man kennt auch den Augenblick, in dem man dem anderen eine Freude bereiten oder ein nettes Wort sagen wollte und nur Unverständnis erntete.


Es scheint so, dass Menschen sich zum einen in ihren Handlungen ähneln und zum anderen, dass sie gewisse Ausgänge von Handlungsabläufen mit hoher Wahrscheinlichkeit als sicher annehmen können. Dennoch ist es nicht immer möglich, das Verhalten anderer Menschen genau vorherzusagen.


In einem Seminar, in dem es darum geht, besser mit anderen Menschen zu interagieren, wurden die Teilnehmer angeregt, ihre Erfahrungen in Bezug auf das Verhalten anderer Menschen zu reflektieren. Dabei stellten sie fest, dass sie in vielen Fällen das Verhalten anderer Menschen zumindest grob abschätzen konnten, aber in einigen Fällen auch überrascht wurden.


Auch hier ist ein Konzept, das dabei helfen kann, mit dieser Unsicherheit umzugehen, das "Polynesische Segeln". Man benötigt einen groben Plan, um einen Handlungsimpuls zu setzen und die notwendige "Reaktionsenergie" freizusetzen. Da es jedoch kein klarer Plan mit einem vorgegebenen Ziel sein kann, muss das Ziel und damit der Plan nur vage sein. Eine Mischung aus Klarheit und Vagheit ist nötig.

Die klare Vision hilft, einen Handlungsimpuls zu setzen und die notwendige Energie freizusetzen. Die Akzeptanz einer gewissen Unklarheit und Unvorhersagbarkeit hilft, sich flexibel auf sich ändernde Bedingungen einzustellen.

Mit Hilfe dieser Metapher können Menschen im Coaching oder in Seminaren auf sichere Weise im Graubereich zwischen Klarheit und Unkenntnis agieren. Die Klarheit gibt die notwendige Orientierung, während die Unkenntnis (und ihre Akzeptanz) dabei hilft, auf unvorhergesehene Wendungen flexibel reagieren zu können.


Navigieren in Ungewissheit, was wir jetzt wissen müssen um fit für die Zukunft zu werden. Ein Impulsvortrag von Simon Steiner

 

Mehr erfahren über Effectuation:


Polynesisch Segeln basiert auf der Logik von Effectuation

Hier erfährst du mehr über Effectuation:


Was ist Effectuation? Das Effectuation 101

Effectuation Beispiele: 8 inspirierende Fallbeispiele


 

Quellen, Credits und Ressourcen

Der Begriff Polynesisches Segeln stammt vom Systemtheretiker Gunther Schmidt:


Die Texte sind Inspiriert von:




Polynesisch-segeln.de https://www.polynesisch-segeln.de/



Stephan Druckrey




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